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Hanauer Anzeiger vom 27. Oktober 1927

Der Vatermord in Langendiebach
vor dem Schwurgericht


Die Schwurgerichtsperiode, in der bisher nur Meineidsfälle verhandelt wurden, brachte heute so etwas wie eine Sensation. "Mord" verkündete der Terminzettel. Angeklagt ist der Hilfsarbeiter Fritz Schmehl aus Langendiebach, der beschuldigt wird, seinen Vater, mit dem er schon seit langem in Uneinigkeit lebte und der schon vor der Tat Drohungen ausgestoßen hatte, ermordet zu haben. Schon die äußeren Anzeichen im Gerichtsgebäude deuteten darauf hin, daß ein großer Tag ist. Der Zuschauerraum ist bis auf den letzten Platz besetzt und eine große Zahl Polizeibeamte, Landjäger und besonders Interessierte haben auf den Zeugenbänken Platz genommen. Eine große Zahl Zeugen ist aufgeboten, auch zwei Sachverständige befinden sich im Sitzungssaal.
Der Angeklagte, ein junger Mann im grauen Anzug, blassem Gesicht und zurückgekämmten Haar, macht einen verschlossenen, versteckten Eindruck. Immer wieder antwortet er mit dem Satz: "Ich weiß es nicht". Der Angeklagte ist vielfach vorbestraft. Er war in Fürsorgeerziehung seit seinem 15. Lebensjahre und hat schon mehrere Diebstähle ausgeführt. Im Dezember 1926 ist er aus dem Zuchthaus entlassen worden. Der ebenfalls vorbestrafte Vater hat ein zweites Mal geheiratet.
Vors.: Wie ging es nun zu Hause?
Angekl.: In der ersten Zeit ging es gut. Die Stiefmutter war immer ordentlich zu mir.
Vors.: Und wie standen Sie mit Ihrem Vater?
Angekl.: Mein Vater bedrohte mich, er war eifersüchtig auf mich, denn er bildete sich ein, ich hätte etwas mit meiner Stiefmutter.
Vors.: Wie war es damit?
Angekl.: Ich habe gar nichts mit ihr gehabt.
Vors.: Wie drohte Ihr Vater?
Angekl.: Er nannte mich Zuchthäusler und warf mich aus dem Haus.
Vors.: Haben Sie am Tage der Tat mit Ihrem Vater gesprochen?
Angekl.: Nein, ich war nicht zum Mittagessen unten; ich blieb auf meiner Stube, denn ich war zu aufgeregt.
Vors.: Worüber?
Angekl.: Mein Vater hatte meine Sockenhalter in den Abort geworfen, deshalb war ich böse und ging nicht zum Essen.
Vors.: Sie hatten sich schon längere Zeit vorher eine Waffe besorgt?
Angekl.: Ja, ich besorgte sie mir, weil mein Vater mich nicht in Ruhe ließ. Ich fühlte mich bedroht. 14 Tage vorher besorgte ich mir die Waffe.
Vors.: Wieviel Schüsse waren in der Waffe?
Angekl.: Neun Schuß. Es war eine 7,65 mm Browning-Pistole.
Vors.: Wollen Sie nicht sagen, wo das Ding geblieben ist?
Angekl.: Ich weiß es nicht, ich habe es weggeworfen.
Vors.: Wo haben Sie den Revolver fortgeworfen?
Angekl.: Ich weiß es nicht.
Vors.: Es besteht der Verdacht, daß Sie ihn versteckt haben.
Angekl.: Nein, ich weiß nicht wo er ist.
Vors.: Am Tage der Tat wollten Sie mit Ihrem Vater sprechen.
Angekl.: Ja, ich wollte mit ihm allein sprechen, aber nicht im Hause.
Vors.: Nun ging Ihr Vater um 9 Uhr fort. Folgten Sie ihm?
Angekl.: Ich wußte nicht, wohin er gegangen war.
Vors.: Gingen Sie hinter Ihrem Vater her?
Angekl.: Nein, ich ging ihm nicht nach. Ich bin nach der Bahnhofstraße gegangen.
Vors.: Hatten Sie keine Ahnung, wohin Ihr Vater ging?
Angekl.: Ich hatte eine Ahnung.
Vors.: Ging Ihr Vater nicht öfters fort, Gemüse stehlen?
Angekl.: Ja, das tat er öfters.
Vors.: Früher haben Sie die Sache anders dargestellt. Sie haben gesagt, der Erschossene sei am Samstag abend gegen ¾ 9 Uhr von zu Hause weggegangen, um Gemüse zu stehlen. Auf einen Wink hin seien Sie ihm dann gefolgt, worauf Sie den Auftrag erhalten hätten, aufzupassen. Als zwei Leute auftauchten, seien Sie weggelaufen und der Vater sei Ihnen nachgeeilt. Als der Vater Sie eingeholt habe, hätte er Ihnen lebhafte Vorwürfe wegen des Fortlaufens gemacht und sei auch tätlich gegen Sie vorgegangen, worauf Sie zwei Schreckschüsse abgegeben hätten. Als der Vater mit seinen tätlichen Angriffen nicht abließ, hätten Sie dann noch zwei Schüsse auf ihn abgegeben, worauf Sie nach Hause geeilt seien und sich, ohne sich um den Getroffenen zu kümmern, ins Bett gelegt hätten.
Vors.: Wo sind Sie nun wirklich mit Ihrem Vater zusammen gestoßen.
Angekl.: Vor der Schleuse.
Vors.: Wie hat sich die Tat nun abgespielt?
Angekl.: Ich wollte noch meinen Vater sprechen. Auf einmal habe ich blindlinks losgeschossen.
Vors.: Haben Sie mit Ihrem Vater gesprochen?
Angekl.: Ich weiß überhaupt nichts mehr.
Vors.: Wieviel Schüsse haben Sie abgegeben?
Angekl.: Vier Schüsse.
Vors.: Sind die Schüsse hintereinander abgegeben worden?
Angekl.: Das weiß ich nicht mehr.
(bei Schluß der Redaktion dauert die Vernehmung des Angeklagten noch an).


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